Im eigenen Kopf hat man immer Vorfahrt – Dieser Denkfehler macht dich nachtragend (und was du dagegen tun kannst)

Du hast jeden Tag Kontakt mit dutzenden von Patienten, ärztlichen und pflegerischen Kollegen, Vorgesetzten und andere Mitarbeitern.

Viele Interaktionen sind neutral, sie lassen dich kalt. Andere hinterlassen ein positives Gefühl bei dir, vielleicht sogar auch beim anderen.


Es gibt aber im Gesundheitswesen, wie überall, Gespräche nach denen du dir denkst:

"Was für ein Depp!"

Mir hängt das dann manchmal noch nach, obwohl ich mich auf etwas anderes konzentrieren will.

Was hat der andere gesagt?

Was habe ich gemacht?

Wer war im Recht?

usw.

Oft komme ich dann zum Schluss, dass ich wohl einen schlechten Tag hatte. Oder hungrig war. Oder aktuell einfach super gestresst bin.

Eigentlich findet sich immer ein flüchtiger Grund, der mein eigenes Handeln erklärt. Bei den anderen denke ich automatisch, dass sie immer so sind.

Es handelt sich hier um den Attributionsfehler, also einem Denkfehler, dem wir alle mehr oder weniger unterliegen.

Der Attributionsfehler

Wir tendieren dazu, das Verhalten anderer hauptsächlich auf ihren Charakter zurückzuführen und nicht auf die Macht des Umstandes.


Daraus folgern wir dann, dass der andere sich auch in Zukunft wieder so verhalten wird.


Tut er es dann nicht, sind wir überrascht. Unser eigenes Verhalten erklären wir genau umgekehrt.

Beispiel: Wenn ich die Vorfahrt genommen bekomme, dann gehe ich davon aus, dass der andere ein aggressiver Autofahrer ist. Dass er vielleicht in Eile ist oder es einen anderen äußeren Grund geben könnte, kommt mir gar nicht in den Sinn.

Nehme ich dagegen jemand anderem die Vorfahrt, dann habe ich ihn wahrscheinlich übersehen oder war gerade vom schreienden Baby auf der Rückbank abgelenkt.

Das Hirn ist faul

Warum denken wir so? Es gibt verschiedene Ansätze zur Erklärung.

Aufmerksamkeit ist wertvoll

Um nicht jedes Detail des Alltages ausführlich durchdenken zu müssen, benutzen wir ständig Abkürzungen im Denken. Das geschieht meist unterbewusst und ist Teil unseres evolutionären Erbes.

Da unsere Aufmerksamkeit ein wertvolles Gut ist, sparen wir mentale Energie. Diese Abkürzungen (oder auch Heuristiken) haben es allerdings an sich, dass sie öfter zu falschen Ergebnissen führen.

Wir tauschen Geschwindigkeit gegen Genauigkeit, was im Alltag ja auch fast immer von Vorteil ist. Auch im Falle des Attributionsfehlers gehen wir den kürzesten Weg, um das Verhalten eines Menschen zu erklären:

Er handelt eben so, weil das seinem Charakter entspricht (und der ist unveränderlich).

Der Einfluss des Attributionsfehlers wird außerdem umso stärker, je größer der eigene Stress ist. Gerade dann sparen wir Aufmerksamkeit und mentale Energie, wo wir nur können.

Erinnere dich mal an einen besonders anstrengenden Tag auf der Arbeit. Kam es dir auch so vor, als ob alle anderen auch noch absichtlich gegen dich arbeiten würden? Vielleicht war aber auch einfach viel los und sie waren genau so gestresst wie du.

Akteur-Beobachter-Unterschied

Wir wissen genauestens Bescheid über das, was in unserem eigenen Kopf vorgeht und über die widrigen Umstände, die uns umgeben. Es fällt uns also leicht, eine Erklärung für eigenes Fehlverhalten zu finden. Bei anderen sehen wir nur das Endergebnis und da wir nicht in ihre Köpfe schauen können, bleibt ihr Charakter als logischer Grund übrig.

Unser Selbstwertgefühl

Da es unser Selbstwertgefühl bedrohen würde, wenn alle unsere Fehler Charakter-bedingt wären, ordnen wir sie automatisch äußeren Einflüssen zu. Erfolge dagegen begründen wir lieber in unserem Charakter. Das Selbstwertgefühl anderer dagegen ist uns meist egal, daher können wir jegliches Fehlverhalten problemlos ihnen persönlich anlasten.

Manchmal ist ein Depp einfach ein Depp

Es gibt natürlich auch Ausnahmen. Manche Menschen sind tatsächlich unfreundlich, weil das ihrem Charakter entspricht und in je mehr Situationen man es erlebt, desto klarer wird es sein.

Interessanterweise sind diese Menschen dann zu Hause oder im Sportclub freundlich und normal, was darauf zurückzuführen ist, dass Charaktereigenschaften trotzdem kontextspezifisch sind und nicht konstant.

Daraus folgen dann Phänomene wie der Trainingsweltmeister, der im Spiel nie trifft oder dass jemand gut in Bewerbungsgesprächen ist, aber nicht im Job (aus diesem Grund lassen große Tech-Firmen Bewerber inzwischen eine Weile bei echten Projekten mitarbeiten).

Oder jemand belügt nur seinen Partner, ist aber immer ehrlich zu seinen Freunden (oder zu seinem Seitensprung...)

Drei Rezepte für klares Denken

Was kannst du nun tun, um dem Attributionsfehler nicht zu unterliegen? Im Buch Super Thinking von Gabriel Weinberg und Lauren McCann finden sich drei hilfreiche Sichtweisen.

1. Der unparteiische Dritte

In jedem Konflikt zwischen zwei Menschen gibt es ​zunächst zwei unterschiedliche Perspektiven, die sich nicht vereinen lassen.

Dann gibt es aber noch eine dritte Sichtweise, nämlich die des unparteiischen Dritten und wie er die Geschichte erzählen würde. Wenn du versuchst, diese Perspektive einzunehmen, kann das helfen eine Konfliktsituation besser zu verstehen.

Beispiel: Ein Kollege aus der Pflege bittet dich, jetzt sofort ins Zimmer 12 zu kommen, da der Patient eine Frage hat. Da du gerade etwas anderes tust, lehnst du erstmal ab (Abgrenzung, yeah!).
Die Reaktion ist dann: "Schauen wir mal, wenn du irgendwann schnell etwas brauchst..."

Perspektive 1: Der Patient klingelt ununterbrochen, ich komme zu nichts anderem, jemand muss jetzt mit ihm sprechen.

Perspektive 2: Ich kann nicht für jede Kleinigkeit meine Arbeit unterbrechen.

Der unparteiische Dritte würde erzählen, dass hier drei Menschen versuchen ihre Bedürfnisse zu befriedigen.

  • Warum der Patient dauerklingelt, kann man von außen nicht sehen.
  • Warum der Kollege es nicht schafft, die Anfrage abzublocken oder zu verzögern, kann man von außen nicht sehen.
  • Warum du die Situation nicht auflösen willst, obwohl du es sofort könntest, kann man von außen nicht sehen.

Du hast dein Bedürfnis über das der anderen beiden gestellt und das ist OK. Die Konsequenzen daraus musst du dann tragen.

Achtung

Langfristig wäre es sinnvoll, eine Standardlösung für dieses und ähnliche Probleme zu finden, dann musst du nicht ständig abblocken.


2. Die maximal versöhnliche Erklärung

Du kannst das Verhalten eines anderen auf viele Arten erklären. Die maximal versöhnliche Erklärung gibt dem anderen einen Vertrauensvorschuss. Hier geht man einfach mal davon aus, dass der andere trotz bester Absichten so gehandelt hat, wie er es eben tat. Du weißt nun mal nicht, was der wahre Hintergrund war und auf diese Weise kannst du Vertrauen aufbauen, anstatt es zu zerstören.

Beispiel: Jemand schickt dir eine E-Mail und macht viel Druck. Du antwortest sofort ausführlich und wartest auf Bestätigung. Plötzlich ist Funkstille. Wir springen automatisch zu negativen Erklärungen. 1. Unsere Zeit ist dem anderen egal. 2. Es war gar nicht so wichtig, dass ich schnell antworte. 3. etc.

Es könnte aber auch sein, dass er gerade endlich seine erste Pause des Tages macht, am Telefon ist oder von jemandem zugetextet wird.

Da du es nicht weißt, gehe erstmal von der maximal versöhnlichen Erklärung aus. Wenn du später die wahre Erklärung hörst, kannst du dich immer noch ärgern.

3. Hanlons Rasiermesser

Erkläre nie etwas durch Böswilligkeit, was sich auch mit Unachtsamkeit erklären lässt. 

Die einfachste Erklärung für schädigendes Verhalten ist oft, dass der andere den Weg des geringsten Widerstandes genommen hat. Durch schlichte Unachtsamkeit entstand dann der Schaden.

Beispiel: Du grüßt jemanden freundlich, er grüßt nicht zurück. Hat er sich aktiv gegen das Zurückgrüßen entschieden? Eher hat er dich nicht gehört oder war in Gedanken versunken.

Mehr über Hanlons Rasiermesser

Zeige Rückgrat

Am besten funktionieren diese Methoden, wenn du persönliche Grenzen setzt und diese auch aufrecht erhältst. Sonst lädst du Machtmenschen ein, dich immer wieder auszunutzen. Jemand der sich dir gegenüber immer wieder falsch verhält, hat seinen Vertrauensvorschuss verspielt

In den meisten Fällen, ist es aber hilfreich, so zu denken, da du negative Erlebnisse schneller abhaken und dich dann auf das Wesentliche konzentrieren kannst.

Denk mal an deine letzte Woche zurück, überlege, ob es eine passende Situation gab und wende eine der Methoden zur Übung darauf an!

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